Meine kleine Englische Suite – Leseproben

Andrew Marvell (1621–1678)

**An die Glühwürmer


Lebende Lampen deren liebe Lichter
die Nachtigall zum Bleiben zwingt
wenn sommernächtelang sie nicht mehr
aufhören kann und unvergleichlich singt

Ihr ländlichen Kometen ihr verkündet
nie einen Krieg und keines Prinzen Tod
keine Weissagung die euch bindet
als daß die Zeit das Gras bedroht

O Glühwürmer mit euren zarten Flammen
die Mähern ihr den Weg erhellt
wenn nachts sie weit vom Ziel abkamen
und Irrlichter sie narren im Feld

Doch euer Licht versprüht ihr jetzt vergebens
seit Juliana hierher kam und flink
mir meinen Geist gänzlich vernebelt
daß ich wohl nie nach Haus mehr find

(In: Novalis im Weinberg. Gedichte.
Ammann Verlag, Zürich 2005)

Andrew Marvell (1621–1678)

**An seine Scheue Geliebte


I

hätten wir Welt genug und Zeit
wär deine Scheu mir keine Schändlichkeit
wir säßen her und dächten zag:
was machen mit dem Liebestag?
du suchst Rubine dir am Ganges und
ich steh am Humber-Fluß als Seufzermund
schon vor der Sintflut solls mich scheren?
würde ich liebend dich begehren
und du? du dürftest dich gern wehren
bis alle Juden sich bekehren
die Liebe mag der Pflanze gleich
träg wachsen weiter als ein Kaiserreich
und hundert Jahre gäb ich gern
fürs Lob der Augen / deiner Stirn
zweihundert Jahre sei die Frist
bis jede Brust gepriesen ist
und dreißigtausend für den Rest
dein Herz zeigt sich erst ganz zuletzt
denn Lady: das verdient dein Licht
und drunter lieben könnt ich nicht

II

doch hinter mir hör ich sie jagen:
die Zeit! in ihrem Flügelwagen!
dort drüben liegen endlos weit
die Wüsten leerer Ewigkeit
denn deine Schönheit: sie verklingt
und in dein Marmorgrabmal dringt
mein Song nicht ein. Der Wurm zerfrißt
was von dem Häutchen übrig ist
deine bizarre Ehre muß
zu Staub / zu Asche – meine Lust
das Grab: ein schön privater Ort
doch Küsse gibts wohl keine dort

III

so laß solang auf deiner Haut
noch morgenfrische Feuchte taut
solang es blitzt dein Seelenlicht
solangs aus jeder Pore bricht
laß uns nur tummeln übervoll
genießen so wie liebestoll
zwei scharfe Vögel laß uns gleich
verzehren unser Liebesreich
die Zeit verschlingen anstatt faul
gemahlen werden durch ihr Maul
rollen wir unsre Kraft und all
die Süße uns zum einen Ball!
zerrn unsre Lust wie nie zuvor
durch dieses Lebens Eisentor
denn bringen wir die Sonne nie
zum Stillstand / komm: wir jagen sie!

(In: Novalis im Weinberg. Gedichte.
Ammann Verlag, Zürich 2005)

George Herbert (1593–1633)

**Eat me George


Die Liebe sagt Komm Her: doch meine Seele schwankt
schuldig von Sünde, Staub
Die Liebe – flinkes Auge – sah daß ich ganz bang
mich kaum über die Schwelle trau
und kommt entgegen fragt mich zart und fleht
ob mir nicht etwas fehlt?

Ein Gast sag ich der wert wär hier zu sein:
Die Liebe sagt – Du bist es! Du!
ich Undankbarer Schroffer? Nein o nein
nicht mal der Blick steht mir hier zu
Die Liebe nahm die Hand mir lächelnd spricht:
wer macht die Augen wenn nicht ich?

Ich hab sie Herrin bloß verdreckt: so laß die Scham
dorthin wo sie's verdient
ja weißt du nicht sagt Sie wer alle Schande nahm?
jetzt sei von mir bedient
so setz dich her probier mein Fleisch jetzt! so geschahs:
Ich setzte mich – und aß

Nach George Herbert, 1593–1633
„The Temple / Love III"

(In: Notizbuch der Grabsprüche. Gedichte.
Rimbaud Verlag, Aachen 2002)

John Donne (1572–1631)

**Der Floh


Schau nur den Floh merk obendrein
was du verwehrst mir ist so klitzeklein!
erst saugt er mich nun saugt er dich
und beider Blut: im Floh vermischt es sich
und das du sollst es anerkennen
kann man nicht Sünde noch auch Schande nennen
noch eh der wirbt hat er genossen
und schwillt verwöhnt schwillt unverdrossen
und das! ach weh! ist mehr als unsre Possen

Drei Leben! halt! verschon in diesem Floh
wo wir vermählt sind fast! nein mehr denn so!
der Floh da er ist ich und du
ein Hochzeitsbett ein Tempel noch dazu
auch wenn die Väter murren unzufrieden
hat uns dies Lebend-Haus ganz abgeschieden
reißt es dich mich zu töten fort
so laß nicht Selbstmord sein – mein Wort:
es wär ein Sakrileg! ein Dreifach-Mord!

Färbst grausam du voll Übermut
den Fingernagel rot im Unschuldsblut?
ob so ein Floh zum Schuldigen taugt
für dieses Tröpfchen das er von dir saugt?
denn du frohlockst ja sagst daß du
dich nicht viel schwächer fühlst vom Rendez-vous
so lern wie falsch die Ängste sind
genau so wenig wär verlorn mein Kind
als dieser Flohtod dir an Leben nimmt

Nach John Donne, 1572–1631
„The Flea"

(In: Notizbuch der Grabsprüche. Gedichte.
Rimbaud Verlag, Aachen 2002)