Hörsturz

Gedichtzyklus mit dem Titel „Hörsturz“
In: „Neue Rundschau“ 2010, 4

**Herz-Derwisch


dann begann es seinen Wirbel
ungefragt es stichelte hüpfte pampte
so dass ich ans Abheben dachte ans Flügelbekommen
so flirrend mit Zeug durchblutet dass es sich betrank
mein Ohr
achte nicht auf mich! sagt der Tod
lass dich nicht abhalten!
tu so als gäbs mich nicht
nicht mal quer nicht mal im Traum

Sorgt sich jede Reue
noch um das erwachsene Herz?
Steinzeit im Ohr?
fransende tötelnde Metro-Süße?
die stammelnden Orakel
irrer Farne und Fasane?

**Leuchtendes Ei


der Tod ist scheinheilig über mein Ohr
geflogen hat leuchtend ein Ei abgesetzt
eine rauschende Verwechslung
jetzt glänzt ein russisches Märchen : vom bösen
Zauberer Koschtschej
überm tauben linken Mond
ein Wolfsjunges eine Krähe ein Hecht
flüstert mir was zu mit grauen Lippen
was ich schon nicht mehr
hörst du Hörsturz

Wo ist dein Tod verehrter Kosch? Im Ei!
jedes Ende erfindet sich
möglichst früh die Geburt

**Sudden deafness


Hörfetzen dringen noch herein unter
den vielen Ratten eine einzige von ihnen macht
achthundert Liter im Jahr mein Ohr
liegt unterm Müll begraben sudden deafness
wie soll ichs nennen ich hör der Welt
nicht mehr ganz zu gehör
ihr nicht mehr völlig fremd zu sein
unter soviel tropfenden Sternen
gieß mir Licht + ins Ohr Eriugena

**Gleichgewichtsprüfung


Brainstem electronic resistance audiometry
und Gleichgewichtsprüfung ob die Welt
im Gleichen sei im Gewicht
Charles’ Vater sagte im Scherz wohin
wandern wir als nächstes aus?
das Merkwürdige war dass eine
dieser Ratten Gedichte schrieb:
bloße Erinnerung an das plötzliche Aufblitzen
der Glühwürmchen überm etruskischen Gebüsch
eine unsichtbare Hand dirigiert sie
in diesem Lichtkonzert
ohne jeden möglichen Sinn
aber froh sind sie zu leuchten wenn du wie ich