Die Geschichte einer Widmung

Die Geschichte einer Widmung

Marina Zwetajewa
Die Geschichte einer Widmung
Gedichte und Prosa (mit Abbildungen)

Aus dem Russischen übertragen, herausgegeben und mit einem Nachwort-Essay versehen von Ralph Dutli.

Ammann Verlag, Zürich 1994
(z.Z. vergriffen)

Textprobe

„Keiner hat es je…“ (russisch/deutsch)

Erinnerungen an Ossip Mandelstam

Der Band enthält Marina Zwetajewas 1931 im Pariser Exil geschriebene Erinnerungsprosa an Ossip Mandelstam, mit dem sie in den „wunderbaren Tagen von Februar bis Juni 1916“ eine kurze und intensive Liebesbeziehung verband, sowie auch die Liebesgedichte, die diese beiden großen russischen Dichter des 20. Jahrhunderts sich gegenseitig zugedacht haben: poetische Geschenke voller Verehrung, doch auch voller Vorahnungen tragischer Lebensläufe, die 1938 Mandelstam im sibirischen Lager, 1941 die Zwetajewa im Selbstmord enden ließen.

Textprobe

„Wir machten einen Spaziergang: die Kinder, Mandelstam, ich. Ich führte Alja und Andrjuscha an der Hand, Mandelstam ging allein. Zuerst war alles schön, wir lagen im Gras, gruben im Lehm. Gruben Löcher. Wir gruben uns zueinander durch, und wenn unsere Hände sich trafen, lachten wir – eigentlich lachte nur er. Ich spielte, wie immer, nur seinetwegen

‚Nach Hauuuse!’

Hier muß ich beifügen, daß Mandelstam von überall – sei’s vom Friedhof, vom Spaziergang, vom Jahrmarkt – immer nach Hause wollte. Und immer eher als der andere (ich). Und von zu Hause – unabänderlich – immer fort. Ich glaube, Humor beiseite, daß er, wenn er nicht schrieb (und nicht schrieb er – immer, das heißt: einmal in drei Monaten ein Gedicht) – sich schwertat. Mandelstam konnte ohne Gedichte auf dieser Welt nicht dasitzen, nicht gehen – nicht leben.“

Marina Zwetajewa
Paris, 1931

**Никто ничего не отнял!
Мне сладостно, что мы врозь.
Целую Вас – через сотни
Разъединяющих верст.

Я знаю, наш дар – неравен,
Мой голос впервые – тих.
Что Вам, молодой Державин,
Мой невоспитанный стих!

На страшный полет крещу Вас:
Лети, молодой орел!
Ты солнце стерпел, не щурясь, –
Юный ли взгляд мой тяжел?

Нежней и бесповоротней
Никто не глядел Вам вслед ...
Целую Вас – через сотни
Разъединяющих лет.

**KEINER HAT ES JE überwunden!
Wie schön sind wir zwei uns – fremd.
Ich küsse dich – über Hunderte
Wersten von dir getrennt.

Ungleich sind, ich weiß, unsere Gaben,
Meine Stimme zum erstenmal – still.
Ist dir, du mein junger Derschawin,
Mein Vers nicht zu ruppig, zu schrill?

Für den schrecklichen Flug gesegnet:
Junger Adler, zum Himmel gekehrt!
Die Sonne ertrugst du, ohne Regung –
Mein Blick ist dir plötzlich zu schwer?

So zärtlich und unwiderrufen
Hat dir noch keiner nachgeblickt ...
Nimm diesen Kuß – über Hunderte
Trennender Jahre geschickt.

Moskau, 12. Februar 1916