Ammanns Wunderlampe

Am 10. August 2009 gaben Egon Ammann und Marie-Luise Flammersfeld der Presse und den Autoren bekannt, dass der Ammann Verlag zum 30. Juni 2010 seine Tätigkeit einstellen wird. „Die Gründe für diesen Entschluss liegen im fortgeschrittenen Alter der Verleger, in gesundheitlichen Problemen und in einer Marktsituation, die für Literatur zunehmend schwieriger wird. Ein Verlag mit dem Profil des Ammann Verlags ist eng an die verantwortlichen Personen gebunden und kann ohne sie nicht fortbestehen. Marie-Luise Flammersfeld und ich haben gegeben, was wir zu geben hatten. Alles hat seine Zeit.“

Meine Bestürzung ist groß, aber auch meine Dankbarkeit dem Verlegerpaar gegenüber, das meine Projekte seit 1985 freundschaftlich, liebevoll, engagiert begleitet hat.

Die Redaktion der „Neuen Zürcher Zeitung“ bat einige Autoren um einen Erinnerungstext an den Ammann Verlag. Die Beiträge wurden in der Ausgabe vom Samstag/Sonntag 15./16. August 2009, Nr. 187, S. 24 (Internationale Ausgabe), veröffentlicht.

Hier ist mein Beitrag:

Ralph Dutli - Heidelberg Juli 2017

Der letzte Indianer


Dezember 1984 in Paris, wo ich damals lebte, Rue de la Tombe-Issoire 37, ein paar Meter über den Katakomben und am Ort, wo laut mittelalterlicher Legende der Grabhügel des erschlagenen Riesen Isoré lag. Wir hatten gerade die Ossip-Mandelstam-Gesamtausgabe geplant und besprochen. Egon Ammann und Marie-Luise Flammersfeld saßen auf meinem bizarren Steinzeit-Sofa wie auf einem fliegenden Teppich. Wir glühten. Es war spät, ich schlug einen nächtlichen Spaziergang durch Paris vor. Wir sahen das Haus, wo Verlaine starb, und Baudelaires Haschisch-Klub auf der Ile Saint-Louis. Eine kleine verrückte Wallfahrt, befeuert vom gemeinsamen Projekt, das den russisch-jüdischen Dichter endlich sichtbar machen sollte und dessen zehn Bände samt meiner Mandelstam-Biographie wir tatsächlich – trotz aller materieller Engpässe – verwirklicht sehen durften.

Zwanzig Jahre sollte es uns tragen und weiter im Text, meine eigenen Gedichte und Essays begrüßte das Verlegerpaar mit ebenso enthusiastischer, mich beglückender Freude. Das antike Wort „Enthusiasmus“ meinte ein „Voll-sein-vom-Gotte“, eine hellhörige Begeisterung, heilige Leidenschaft für den Gott – der Literatur. Seither ist der Ammann Verlag für mich eine Gesandtschaft gewesen, „L'Ambassade de la Poésie“, ein zartes Asyl poetischer Euphorie, dem harten Wind öder wirtschaftlicher Zwänge nobel und verbissen trotzend. In einem der ersten Ammann-Bücher fand ich eines meiner bis heute wirksamsten Lebensmedikamente, den Satz von John Cowper Powys: „Das Geheimnis des Lebens besteht darin, Gottes Verrücktheit zu teilen.“ Das war es: das Licht in Ammanns Wunderlampe.

Und jetzt ist meine Trauer über das abrupte Ende groß. Viel, viel größer aber noch: die Dankbarkeit diesen beiden Kämpfern gegenüber. Einmal, es war 1999, ging ich in Darmstadt auf der Straße, wandte den Kopf und sah plötzlich Egon Ammanns Porträt auf einem Plakat, sichtbar gealtert, aber dennoch unverkennbar – Er. Dann las ich den Aufdruck weiter unten, der für eine Ausstellung des Landesmuseums Darmstadt warb: „SITTING BULL – der letzte Indianer“. Ich freue mich, dass diese Zeilen kein Nachruf sind. Ammann lebt. Das Lebenswerk wird leben.

Ralph Dutli